Der Aderlass im Gloggi ging aber weiter. Nachdem die Patria die Abteilung Glockenhof verlassen hatte, spalteten sich (für viele besonders schmerzhaft, weil unter der Leitung des Gründers der Pfadi Gloggi Emil Dändliker) die Abteilung Libertas und danach die Abteilung Winkelried vom Gloggi ab:
Die nicht mehr zur Abteilung Glockenhof gehörenden Abteilungen bildeten nun das Stadtkorps, das ein Gegengewicht zum Gloggi darstellte.
Das stärkste Mitglied des Stadtkorps blieb die Patria, weshalb das Stadtkorps 1940 dann auch wieder auf den Namen „Patria“ umgetauft wurde.
Die Beziehungen zwischen Patria und Gloggi waren damals längst wieder freundschaftlich geworden, im GP wurde, wie hier 1943, auch über die Patria berichtet – es gehe der Abteilung gut:
Interessant, dass die Patria keine Wölfe hatte, vom Dschungelbuch wollte man nichts wissen, sondern „Knappen“.
Die Patria gedieh weiter, die Hütte am Horgenerweiher hatte man abreissen müssen und es entstand der Wunsch nach einem eigenen Heim:
Man wurde am Hüttikerberg fündig – ganz einfach war es aber nicht, dort ein Heim zu bauen, es mussten Finanzen aufgetrieben, Landstücke abgetauscht, Durchleitungsrechte gesichert und Baupläne gezeichnet werden. Am 7. August 1950 war es dann so weit: der Hüttiker Gemeinderat bewilligte das Baugesuch.
(Sozialarchiv Ar 664.429 und 430)
Jetzt ging es erst recht los. Die Patria wollte das Haus von Grund auf selbst bauen und das gelang ihr auch.
Die Generalversammlung von APV und Heimverein Glockenhof hat 2025 im Patriaheim Hüttikerberg stattgefunden. Ein Grund, etwas auf die Geschichte der Pfadi Patria und die Geschichte des Patriaheimes zurückzuschauen.
1915: Patria entsteht durch Abtrennung vom Gloggi
Der Gloggi-Stammbaum zeigt, wie 1915 die Patria aus dem Gloggi ausschied und eine eigene Abteilung gründete.
Im Protokollbuch von 1915 findet sich folgender Eintrag:
„Wieder hat eine Gruppe von Führern (…) mit einer Anzahl von Pfadfindern unsere Abteilung verlassen & sich zu einer neuen Organisation, der Patria zusammengetan. Der Wunsch nach einer strafferen, mehr nach militärischen Grundsätzen geleiteten Organisation, Differenzen persönlicher Natur & wohl auch der Drang nach grösserer Unabhängigkeit führte die Unzufriedenen zusammen. Ob sie unter Instruction von Offizieren (die Leitung wollen sie selbst in der Halt behalten) nun ihr Ideal besser erreichen, mag die Zukunft zeigen.“ (Protokollbuch Pfadfindercommission 1915)
Wie stark militärische Grundsätze in die Pfadibewegung Einfluss haben sollten, gab in der Zeit des ersten Weltkrieges naturgemäss viel zu reden. Im Gloggi berief man sich stärker auf christliche Grundsätze, während es für die Patria wichtig war, militärischen Grundsätzen zu folgen. Hier eine „Inspektion“ aus dem Jahre 1917. Oberstdivisionär Steinbruch, Oberst Wille (der Sohn des Generals) und Prof. Brockmann vom Kantonalverband inspizieren eine Pfadigruppe.
In den ersten Jahren nach der Abtrennung hatten Patria und Gloggi das Heu auch aus anderen Gründen nicht auf der gleichen Bühne. Im Protokollbuch der Pfadfindercommission des Gloggi findet sich folgender Eintrag:
„Am Spielnachmittag unserer Abteilung am 25. April waren einige Mitglieder der Patria als Gäste anwesend. Sie missbrauchten, wie Herr Pfr. Keller in Ueberinstimmung mit anderen Berichten mitteilt, das ihnen gewordene Gastrecht dazu, unter unseren Pfadfindern für ihre Abteilung zu werben. Gegen dieses unfeine Gebahren soll bei der Patria energisch protestiert werden mit der Androhung, im Wiederholungsfall die Angelegenheit vor den Kantonalvorstand zu bringen.“
Es scheint aber keinen Wiederholungsfall gegeben zu haben, beide Abteilungen hatten in jener Zeit eher zu viele neue Mitglieder. Und beide Abteilungen machten sich daran, sich eine Pfadihütte zu bauen. Die Patria begann schon 1915, sich am Horgenerweiher eine Hütte zu bauen, für den Gloggi entstand auf dem Restiberg neben dem CVJM-Heim eine Pfadfinderhütte, 1917/18 folgte das „Eigewärch“ auf der Entlisbergwiese in Zürich.
Der Horgenerweiher damals (Bild: Museum Sust Horgen).
Ein Patria-Pfadi, der damals dabei war, erinnerte sich 35 Jahre später folgendermassen:
Im Gloggi-Laden und bei hajk gibt es auch runde und langgezogene Abzeichen zu kaufen: «Spezialitäten-Abzeichen» der Wolfs- und Pfadistufe. Auch im Archiv haben wir viele solche «Spez»-Abzeichen. Welche Geschichte haben sie?
Für den Gründer der Pfadibewegung, Baden-Powell (Bi-Pi) war klar: Nicht alle Pfadi müssen das Gleiche können. Alle haben doch etwas, das sie besonders gut können und besonders gern machen – eben ihre Spezialitäten. Und gerade in diesen Gebieten sollen sie Fortschritte machen, Neues dazu lernen und es so anwenden, dass die ganze Gruppe davon profitiert. Schon zu Bi-Pis Zeiten erhielt man für Fortschritte auf einem Spezialgebiet als Anerkennung ein Spezialitäten-Abzeichen.
Bi-Pi hat das in seinem Buch „Aids to Scoutmastership“ für Leiterinnen und Leiter beschrieben. Wir haben im Archiv eine englische Version (Auszug, englisch als PDF).
Weil Bi-Pi selbst besonders gerne schauspielerte, zeichnete er in seinen Hinweisen für Leitende eine Gruppe beim Singen und Theaterspielen. Wer hier besondere Fortschritte machte, solle z.B. das Spezialitäten-Abzeichen «Schauspieler», «Schauspielerin» bekommen.
Auch in seinen Büchern für Wölfe und Pfadi hat Bi-Pi die Spezialitäten dargestellt. Die Abzeichen für die Wölfe sahen 1936 so aus:
Schon die ersten Abzeichen waren in unterschiedlichen Farben gehalten. Wer sich in einer Spezialität auszeichnete, die für die Beziehung zu den Mitmenschen wichtig war, erhielt ein rotes Abzeichen (bzw. ein Abzeichen mit einem roten Rand), Spezialitäten die körperliche Aktivitäten betrafen, waren grün usw. – Weit von den heutigen „fünf Beziehungen“ im Pfadiprofil (Beziehung zur Persönlichkeit, zum Körper, zu den Mitmenschen, zur Umwelt, zum Spirituellen) war man schon damals nicht entfernt.
Die Spezialitäten für die jüngeren Mädchen (in der Schweiz wurden sie zuerst Heinzelmännchen, erst dann Bienli genannt) waren sehr ähnlich wie diejenigen der Wölfe. Zwischen Pfadfindern und Pfadfinderinnen unterschieden sie sich stärker, bei den Pfadfinderinnen waren auch viele damals als typisch weibliche angesehene Spezialitäten dabei. Hier ein Ausschnitt:
Diese Illustration stammt vom Schweizerischen Pfadiarchiv. Es hat die Spezialabzeichen der Pfadistufe von 1919 bis 2024 schön zusammengestellt (PDF).
Die Abzeichen selbst und ihre Anzahl veränderten sich im Laufe der Zeit aber erheblich. Hier z.B. das Schauspielabzeichen:
1923 (Mädchen), 1956 (Knaben), 1990 und 2004 (PBS)
Im Gloggi achtete man darauf, dass jemand nicht zu viele Spezialitäten-Abzeichen erwarb, vier oder fünf waren die obere Grenze. Wer mehr Abzeichen am Ärmel hatte, wurde etwas abschätzig «Christbaum» genannt. In anderen Ländern war das anders. An Jamborees und anderen internationalen Treffen wunderten sich manchmal Pfadis aus anderen Ländern über den mangelnden Ehrgeiz in der Schweiz. In vielen anderen Pfadiorganisationen hatte (und hat) man ja das Ziel, möglichst viele Spezialitätenabzeichen zu erwerben und an den Ärmel zu nähen.
GP 1956 über ein Lagerfeuer mit holländischen Pfadfindern. Die Thebaner wundern sich darüber, dass ein Holländer neunzehn Spezialabzeichen erworben hatte.
Im Gloggi bestimmte meist die Abteilungsleitung, in welchen Gebieten Wölfe und Pfadi sich überhaupt spezialisieren konnten. Dann wurden Höcks und Weekends organisiert, an denen man sich die nötigen Fähigkeiten erwerben konnte. 1951 skizzierte die GP-Redaktion welche Spezialitäten beliebt waren:
Die Pfadis, die sich als Topograph spezialisierten, lernten unter anderem den Verlauf eines Baches zu vermessen und davon eine Karte im Massstab 1:1000 und ein Kroki zu erstellen. Offenbar vergassen sich die Pfadi beim Vermessen einmal so, dass sie in Wallisellen in einen frisch angesäten Acker trampelten und dem Bauer zwei Franken für den Landschaden bezahlen mussten.
Häufig standen auch in Sommerlagern Spezialitäten im Zentrum. 1962 nahm sich der Wiking vor, Wetterwarte und Pioniere auszubilden. Im GP wird berichtet:
Um das Kochspezialitätenabzeichen zu erhalten war oft das Mitwirken in der Kochgruppe eines Ausbildungslagers nötig, und das «Reporter»-Abzeichen erhielt selbstverständlich nur, wer Reportagen für den GP gemacht hatte.
Die Möglichkeit, sich in einer Spezialität weiterzuentwickeln und diese anzuwenden, wurde in all den Jahren mal mehr, mal weniger genutzt. Am stärksten im Vordergrund standen Spezialitäten wohl im Relais-Lager, das der (Knaben-)Pfadiund 1954 im Greyerzerland durchführte.
wurde damals in der Presse berichtet. Hier der Bericht im Bieler Tagblatt (28. Juli 1954):
Jeder angemeldete Stamm hatte einen eigenen Lagerplatz. Von dort aus konnten die Pfadi dann in Interessengruppen mehrere Tage an verschiedenen «Relais» teilnehmen. Das waren Posten im Lagergebiet, an denen sie in grossem Stil in eine Spezialität eingeführt wurden. Die Pioniere fällten mit den Förstern Bäume, bauten daraus Türme und Zugbrücken und schnitzten Totempfähle. Im Relais «Darstellungskunst» wurden Theater und Musicals eingeübt, man konnte sich vertiefen in die Spezialitäten Schauspieler, Lagermusikant, Tätschmeister, Maler, Fotograf, Dolmetscher, Chronist, Schnitzler, Bastler, Koch und Dolmetscher.
Im Relais «Mechanik» lernte man Löten und Schweissen ganze Autos und Vespas wurden zerlegt und Wasserturbinen gebaut (Presseartikel und Lagerbuch Teja).
Über das Relais „Meldedienst“ berichtet folgender Eintrag im Teja-Lagerbuch von 1954:
Am Abend kehrten die Pfadi jeweils an den Lagerplatz ihres Stammes zurück und erzählten sich am Lagerfeuer vom tagsüber Gelernten.
Die Spezialitäten sind in Ergänzung zu den verschiedenen Etappen oder Steps in der Pfadibewegung auch heute noch wichtige Schritte zur persönlichen Entwicklung. Sie werden bei den Pfadiprofilen auf der Website der PBS bei den Wölfen wie den Pfadis dargestellt. Hoffen wir, dass sie auch in Zukunft weiterentwickelt und angewendet werden.
1923 erhielt ein damaliger Gloggi-Leiter diese Postkarte von einem Freund. «Der Pfadfinder ist gut zu den Tieren» stand in französischer Sprache darauf. Die Karte stammte aus einer Serie von 10 Karten mit Sujets zum Pfadigesetz. „Der Pfadfinder schützt Tiere und Pflanzen“ wurde mit Zugtieren illustriert wurde, die damals Kutschen, Pflüge, Lastenwagen zogen und häufig auch geschunden wurden.
Welche Rolle spielten Tiere in der Pfadi?
In alten Berichten im Gloggi-Archiv liest man von Maultier „Hans“. Hans trug viele Jahre die Lasten auf den Restiberg, wo das Cevi-Haus und daneben ein Pfadiheim standen. Während die Pfadi ihr Material meist auf dem eigenen Rücken hochschleppten, war Hans für das Gepäck der älteren Cevi-Mitglieder zuständig. Das Maultier wurde, wenn es nicht gerade arbeitete, von CVJM-Mitgliedern und Pfadfindern gleichermassen gepflegt und gehätschelt.
Der Pfad zum Restiberg im Glarnerland. Hier säumte Maultier „Hans“ die Waren hinauf.
Nutztiere waren aber auch in den Lagern dabei, hier eine Ziege, die 1916 im Sola Lachen Milch gab und , wie das Glasplattendia zeigt, natürlich auch freundlich ins Lagerleben einbezogen wurde:
Eine besondere Beziehung hatten Wölfe und Pfadi natürlich zu den Tieren aus dem Dschungelbuch und zu Tieren, nach denen sie selbst, ihr Rudel oder ihre Gruppe benannt waren. Das zeigte sich auf den Wimpeln (jede Gruppe, manchmal auch jeder Pfadi hatte einen eigenen Wimpel) und in vielen Zeichnungen in den Gruppenbüchern. Nebenstehend 1963 Gruppe Voss, Totila. Unten: Rudel Star, (1930er-Jahre), Namenwimpel von Spatz (1940er-Jahre), Gruppe Gepard, Normannen (1960er-Jahre).
Eine häufige Aktivität im Wald war das Beobachten von Tieren. Spurenlesen wurde in allen Stufen geübt. Um Tiere aus anderen Weltgegenden zu beobachten, ging man oft in den Zoo (Billett und Zeichnungen von 1962).
In den Lagern holte man beim Bauern Frischmilch von Kühen und Ziegen. Manchmal alberte man auch mit den Tieren herum, setzte ihnen wie auf den Bildern 1932 und 1989 einen Hut auf. Das Vieh fand nicht immer Gefallen an den Pfadi, die auf ihren Weiden lagerten. Hier in der Mitte das zerstörte Wiking- Lager nach dem «Überfall der Rindviecher» 1962.
Freude hatte im gleichen Jahr der Korinth an Esel «Rino», den der Stamm im Tessin bei einem Bauern kennengelernt hatte. Er folgte den Korinthern den ganzen weiten Weg vom Lagerplatz nach Lugano, um dort Material abzuholen. Auf dem Rückweg half er zuerst, den Karren zu ziehen. Dann musste er mit Brot gelockt werden und schliesslich blieb er stehen. Die Pfadi mussten den Bauer holen. Mit seiner Hilfe kamen Rino und Material schliesslich ins Lager.
1956 fand das Bundeslager in den Freibergen statt, hier hatten dann alle Pfadi Gelegenheit, mit Freiberger Pferden Bekanntschaft zu schliessen:
Reiten und Kutschenfahren war auch danach ein Höhepunkt in verschiedensten Lagern, hier im PTA-Lager 1978:
Hühner spielten nicht nur als Eierlieferanten eine wichtige Rolle, sie wurden auch ins Lagerprogramm einbezogen. 1980 wurde im Gryfensee während des Herbstlagers ein Huhn entführt und musste von den Wölfen zurückerobert werden. Laut Lagerbuch soll es etwas verängstigt gewesen sein. Es legte aber, wie damals gezeichnet, bald trotzdem wieder ein Ei…
Auch Schweine, Meersäuli, Ratten (die anfangs 1980er-Jahre auch als Kuscheltiere gehalten wurden), bevölkerten die Gloggi-Lager.
Die treusten Begleiter waren aber Katzen und Hunde. Aus sehr vielen Lagern gibt es Bilder von Büsis, die sich noch so gerne streicheln liessen, hier 1958 im Lager der Wolfsmeute und 1968 bei den Normannen:
Suchhunde waren dabei, wenn die Leiter Lawinenkurse besuchten (1963 über Ostern),
und als Begleiter in verschiedensten Lagern.
Dieser herzige Hund wurde 2022 im Bundeslager mova sogar zum Instagram-Star (Bild Instagram).
Seit 112 Jahren gibt es die Gloggi-Pfadi. Aber warum heissen sie eigentlich so? Der Name «Glockenhof» geht auf eine Glockengiesserei zurück. Sie wurde 1490 von der Zürcher Glockengiesserfamilie Füssli eingerichtet, dort wo heute das Hotel und das Zentrum Glockenhof stehen. Die Füsslis hatten schon vorher am Rennweg Glocken und Haushaltgeräte gegossen
Die Glocken wurden weitherum für ihre gute Qualität und ihren schönen Ton geschätzt. Ebenso bekannt waren die Suppentöpfe (Mitte). In ihnen köchelte am Sonntag, wenn alle in der Kirche waren, der Eintopf fürs Mittagessen schön lange vor sich hin. Sehr gut verkauft wurden auch Geschütze, im Bild die grösste gegossene Kanone «Mercurius», die lange im Hof des Landesmuseums stand.
Das Giessen brauchte sehr viel Holz und dafür war die Lage des Glockenhofs ideal. Die Holzstämme aus dem Sihlwald wurden auf Sihl und Sihlkanal bis fast vor die Giesserei geflösst. Auf diesem Auschnitt aus der Meriankarte von 1642 (e-rara) sieht man gut, wo die Holzstämme aus dem Wasser geholt (roter Kreis), und dann in den Glockenhof gebracht wurden (blauer Kreis).
Die Sihl diente später als Herausforderung für viele «Pfadiübungen». Hier Wölfe und Pfadi Ende der 1960er-Jahre bei einer Sihlüberquerung. Niemand dachte wohl daran, dass hier einst Baumstämme aus dem Sihlwald vorbei geflösst wurden.
Die Giesshütte brannte 1830 ab. Die Füsslis stellten darauf den Giessereibetrieb ein. Das Gelände mit dem noch bestehenden Wohnhaus, dem «Glockenhaus» kaufte Kaspar Escher, Mitgründer der Firma Escher Wyss. Er vererbte es seiner Tochter Matthilde Escher, die darauf die St.-Anna-Kapelle und ein Heim für körperlich behinderte Kinder bauen liess. (Schon lange vorher hatte eine St.-Anna-Kapelle vor der Stadtmauer, auf der gegenüberliegenden Strassenseite bestanden. Der Name des Warenhauses St. Annahof erinnert noch daran, auch an den gleichnamigen Friedhof, der oben auf Karte und Zeichnung zu sehen ist.) Das Heim der Matthilde-Escher-Stiftung, das bis heute besteht, brauchte mit der Zeit mehr Platz. Die Stiftung verkaufte deshalb das Glockenhof-Gelände an den CVJM und das Freie Gymnasium. Die St. Anna-Kapelle wurde neu errichtet, Gymnasium (heute Bürogebäude) Hotel und Vereinshaus Glockenhof entstanden 1911 in ihrer heutigen Form:
Und hier gründete der 17 Jahre alte Sekretariatsgehilfe des CVJM, Emil Dändliker 1912 innerhalb der Knabenabteilung eine Pfadfindergruppe. Was lag näher, als sie Glockenhof zu nennen?
Glocken tauchen deshalb in der Gloggi-Geschichte immer wieder auf. Auch im Gloggi-Archiv bewahren wir eine auf. Es ist die Glocke, die der Gloggi (hier der damalige Korpsleiter Riss) 1975 den Manegg-Pfadi zu ihrem 50-Jahr-Jubiläum schenkte.
«6. Mai: Tag der guten Tat» lese ich vor dem Coop. Mir kommt in den Sinn, wie wir in den Wölfen einmal eine «Aktion gute Tat» machten. Alle führten eine Liste und notierten jeden Tag ihre gute Tat. Wer Ende Quartal die meisten guten Taten notiert hatte, gewann einen Preis. Beim Ausfüllen meiner Liste musste ich manchmal überlegen. War jetzt «Meiner Schwester meine Chäpslipistole ausgeliehen» eine gute Tat oder nicht einfach eine Selbstverständlichkeit?
Der Gründer der Pfadibewegung, Bi-Pi (Baden-Powell) hätte sich wohl über meine Überlegungen gefreut. Es ist ihm mit «und jeden Tag eine gute Tat» gelungen, einen Slogan für stetige Hilfsbereitschaft zu schaffen und in der Pfadibewegung zu verankern.
Für die «gute Tat» warb Bi-Pi schon vor der Gründung der Pfadi. Als für seine Erfolge im Burenkrieg bewunderter hoher Offizier der britischen Kolonialarmee hatte er eine Patenschaft für eine Nichtrauchervereinigung eines Knabenchors übernommen. Den jungen Sängern schrieb er 1901:
«Jeder Chorknabe sollte aktiv Gutes tun … Mit „Gutes tun“ meine ich, dass ihr euch nützlich macht und anderen Menschen – seien es Freunde oder Fremde – kleine Gefälligkeiten erweist … Nehmt euch vor, jeden Tag jemandem eine „gute Tat“ zu erweisen, und ihr werdet euch bald angewöhnen, immer „gute Taten“ zu vollbringen.» (Tim Jeal: Baden Powell, Yale University Press, 2001, S. 363).
Für die Pfadi illustrierte er den Gedanken in seinem «Scouting for Boys» 1907 – aus heutiger Sicht klischeehaft – mit einem sportlichen Knaben, der einem Mädchen beim Anklopfen an eine Tür hilft:
Bi-Pi machte Anregungen, wie diejenige einen Knoten in die Kravatte zu machen, um immer an die gute Tat zu denken. Sein Bild zeigt, wie er sich das vorstellte (Aus «Scouting for Boys» 1908 (eBook, Projekt Gutenberg)
Bi-Pi meinte auch, eine einmal vergessene gute Tat könne am nächsten Tag nachgeholt werden, indem man dann einfach zwei gute Taten tue.
Dass die Idee der guten Tat auch für zweifelhafte Anliegen verwendet werden konnte, zeigt ein Ausschnitt aus der CVJM-Zeitschrift «Die Glocke», die von deutschen Pfadfindern berichtet, die Schundliteratur gesammelt und sie «den Flammen eines Scheiterhaufens» übergeben hätten:
«Die Glocke, Juli 1914»
Im Gloggi-Archiv zeigt sich, wie die Idee der guten Tat durch all die 111 Gloggi-Jahre verfolgt wurde. Bis in die 1950er-Jahre beschenkten Pfadigruppen zum Beispiel an Weihnachten jeweils arme Familien.
Hier zeichnet die Gruppe Leu aus dem Kim 1943, wie sie sich in einer Strasse im Kreis 4 vor eine Wohnungstür schlichen.
Dort legten sie dann Geschenke vor die Tür einer bedürftigen Familie. (Bilder aus dem Gruppenbuch Leu/ Kim)
Das 40-Jahr-Jubiläum der Pfadiabteilung Glockenhof wurde 1952 auch begangen, indem jede Gruppe bei einem Bauern übernachtete und dort eine kleine gute Tat «verrichten musste».
Aus dem Jahresbericht 1951/52
In vielen Programmen und Erinnerungsbüchern liest man vom Engagement für Mitmenschen, Gesellschaft und Umwelt. Pfadis organisieren Kinderlager oder helfen bei Bergbauern, sie singen in Alters- und Krankenheimen und spielen dort Theater (z.B. hier 1970 die «Aktion Bombach»)
Theater spielen für Alte und Kranke (Aktion Bombach, 1970, aus dem Gruppenbuch «Schwan», Waldmann, Dübendorf)
In vielen Programmen und Erinnerungsbüchern liest man vom Engagement für Mitmenschen, Gesellschaft und Umwelt. Pfadis organisieren Kinderlager oder helfen bei Bergbauern, sie singen in Alters- und Krankenheimen und spielen dort Theater (z.B. oben 1970 die «Aktion Bombach») Später kommen Waldputzaktionen, Naturschutz- und Entwicklungszusammenarbeitsprojekte usw. dazu. Und bald werden wir ja am Tag der guten Tat von neuen guten Taten hören.
Vor 25 Jahren wurde die Archivgruppe gegründet. Wir feierten das Jubiläum mit einem Posten am Gloggi-Tag. Dort erzählte der Gloggi-Geist unter anderem davon, wie die Pfadi früher mit Bahren Verletzte rasend schnell über Stock und Stein transportiert hätten. Die Pfadi bauten am Posten selbst eine Bahre und rannten mit einem «Verletzten» über einen Parcours. Das sah dann nicht genau so aus, wie vor 80 Jahren auf der Allmend Brunau, aber doch so ähnlich:
Gruppenbuch Leopard/ Wiking 1953-1958
Aber wie kamen die Bahren in die Pfadi? Und rannte man mit Verletzten wirklich durch die Gegend? Das muss sie ja ganz schön durchgeschüttelt haben. Gruppenbücher und andere Unterlagen im Gloggi-Archiv geben Auskunft:
Der Gründer der Pfadi, Bi-Pi beschrieb 1908 in seinem ersten Buch für Pfadi, «Scouting for Boys», dass Pfadi um «allzeit bereit» zu sein, natürlich auch in Erster Hilfe ausgebildet sein müssten. (Text und Bilder der ursprünglichen Ausgabe von 1908 sind im Projekt Gutenberg verfügbar). Er machte gerade ein Beispiel von sich selbst und zeichnete, wie er behandelt worden war, als er sich in Indien die Schulter ausgerenkt hatte. In diesem Buch gab er auch Anleitungen für den Bahrenbau.
Bi-Pis Schulter wird in Indien wieder eingerenkt (aus Scouting for Boys, 1908)
Verwundetentransporte mit Bahren wurden bald so etwas wie ein Markenzeichen der Pfadi. Als der CVJM 1913 Werbung für die Pfadi machte, erschien in seiner Zeitschrift «Die Glocke» auch ein Bild von Pfadi, die Verwundete transportieren (links).
„Die Glocke“, 1913 und Chocolat Tobler, 1928
Pfadi beim Verwundetentransport sieht man auch auf den Sammelmarken (damals so eine Art Panini-Bilder) der Schoggifabrik Tobler in den 1920er-Jahren (rechts).
Das Fixieren von gebrochenen Knochen und der Transport von Verletzten bis zur nächsten Strasse wurden regelmässig geübt. Auch bei Wettkämpfen mussten die Gruppen Bahren bauen und «Verwundete» möglichst schnell transportieren.
Dass Bahren manchmal gebraucht wurden, zeigt ein Gruppenbuch der „Hunnen“ von 1932. Bei einem Pfadiskirennen war auch eine Schanze eingebaut worden, neben der zwei Pfadi für den Fall der Fälle mit einer Bahre warteten. Zeichnungen in Gruppenbüchern zeigen, dass sich die Pfadi beim Üben auch gut amüsierten
Skilagerbuch „Hunnen“ 1932/33
Gruppenbuch Voss 1936/37
Meistens brauchte man ja die erworbenen Kenntnisse zum Glück nicht, es waren eher Blasen an den Füssen behandeln
Oder je nachdem musste auch einmal ein blaues Auge behandelt werden. In Gruppenbüchern ist auch von Übelkeit, die in Herbstlagern herrschte und Kranken mit Fieber zu lesen.
Gruppenbuch Voss 1936/37
Irgendwann verselbständigten sich dann die Wettbewerbe, welche Gruppe wohl am besten in Erster Hilfe sei. Man rannte nicht nur mit Bahren um die Wette, sondern liess die «Verwundeten» auch selbst rennen, führte «Samariterstafetten» durch. Ich kann mich noch gut erinnern, wie wir in den 1960er-Jahren mit einem eingeschienten Bein und einem fixierten Arm Hindernisläufe absolvierten.
Samariterstafette 1942
Dass die zu Übungswecken auf den Bahren Transportierten manchmal abstiegen, wenn sie zu sehr durchgerüttelt wurden, ist in einem Zugsbuch der Manegg von 1964 beschrieben:
«Schliesslich wurde ich auf eine Bahre gelegt und solange geschüttelt und gerüttelt, bis ich erklärte, dass ich lieber heim laufe, statt getragen zu werden» beschreibt eine Pfadi hier.
Bahrenbau und -transporte wurden lange in den verschiedenen Auflagen der Pfaditechnik beschrieben und in die Hefte für die verschiedenen Prüfungen eingetragen.
Unterdessen ist der Bau von Tragbahren aus der Pfaditechnik verschwunden – und man macht vermutlich auch keine Wettrennen mit Bahren mehr. Aber Spass hat’s gemacht, beides am Gloggi-Tag nochmals aufleben zu lassen.
«Pfadi dihei», «CoronAufbau mit Masken», abgesagte und dezentralisierte Anlässe: Die Corona-Pandemie zwang 2020 auch zu grossen Veränderungen im Pfadibetrieb. Doch wie war das eigentlich bei der letzten grossen Pandemie, der «spanischen Grippe» 1918? Diese massive Grippewelle, hatte ihren Ursprung nicht in Spanien (dort wurde lediglich offen darüber berichtet) sondern wohl in den USA, in Kansas. Sie forderte weltweit zwischen 27 und 50 Millionen oder noch mehr Todesopfer, mehr als der damals zu Ende gehende 1. Weltkrieg. Die Schweiz hatte 25’000 Grippetote zu beklagen, fast jede zweite Person in der Schweiz erkrankte an dieser Grippe, hart traf es vor allem 20- bis 40-jährige.
Die erste Welle im Frühsommer 1918 hatte einige Einschränkungen für die Pfadi in Zürich zur Folge, Grossanlässe wie die «Pfadfinder-Landsgemeinde» wurden verschoben, «Social Distancing» galt schon damals als wirksam.
Bericht der NZZ über die vom Juli auf den September verschobene schweizerische „Pfadfinder-Landsgemeinde“ in Regensdorf
Eine Grippeimpfung existierte nicht, lindernde Medikamente gab es kaum, entsprechend wurde viel Merkwürdiges angeboten wie dieser Heimschwitzapparat:
Inserat in der Schweizerischen Lehrerzeitung, 1918
Zum Teil wurde auch Rauchen und Alkohol empfohlen, um der Grippe den Garaus zu machen oder Gurgelmittel.
Inserat in der Schweizerischen Lehrerzeitung, 1918
Im Oktober und November, gleichzeitig mit dem Landesstreik und der Angst vor einer Revolution, die eine Truppenstationierung in Zürich zur Folge hatte, explodierte die Zahl der Erkrankungen förmlich. Der Bericht des Stadtrates von damals zeigt, dass allein in der Stadt fast 40’000 Personen erkrankten:
Geschäftsbericht des Stadtrates 1919 (Stadtarchiv)
In dieser Situation wurden die Schulen geschlossen, viele Schulhäuser und z.B. auch die Tonhalle wurden zu Notspitälern umfunktioniert. Das damalige Protokollbuch des «Feldmeisterkonventes» des Gloggi ist in unserem Archiv erhalten. Aus den Absenzenlisten ist ersichtlich, dass auch viele Führer, wie man damals sagte, wegen Grippe abwesend waren. Der Pfadibetrieb (hier der Oberpfadi-Kurs O’Pf.) wurde aber weitergeführt und andererseits hatten viele Pfadi «Hilfsdienst» zu leisten. Sie wurden von der Frauenzentrale und der Pflegerinnenschule, die die Arbeiten koordinierten, eingesetzt.
Auszug Protokoll Feldmeisterkonvent 15. Okt. 1918
Der damals 16-jährigen Pfadi Eduard Seiler (er war wohl nicht im Gloggi) hat damals ein Tagebuch geschrieben, das 2008 und 2009 auszugsweise veröffentlicht wurde. Hier der 2008 erschienende Beitrag aus dem Tages-Anzeiger:
Die zweite Veröffentlichung findet sich in einem Buch über das „Soldatenleben im 1. Weltkrieg“: Otto Wicki/ Anton Kaufmann/ Erwin Dahinden: Oh wär ich doch ein Schweizer, Schüpfheim 2019.
Aus diesem Tagebuch wissen wir, dass diese Hilfsdienste sehr hart waren: Eduard Seiler berichtet, wie die Pfadi einerseits eingesetzt wurden, um Betten und andere Utensilien wie Spucknäpfe und Urinflaschen mit Velos und Anhängern in die Lazarette zu transportieren und dort aufzustellen. Sie wurden auch für Botengänge eingesetzt, wenn Patienten z.B. dringen Sauerstoff brauchten. Er berichtet von einem Soldaten, der grässliche Atemnot hatte: «Oft mussten wir in die Apotheken springen um schnell wieder eine neue Sauerstoffbombe für den langsam erstickenden Aregger zu holen. Etwas so Entsetzliches habe ich nie gesehen.» Eduard Seiler beschreibt das Sterben des Soldaten, er schreibt auch von berührenden Besuchen von Angehörigen, die ihre Lieben bis in den Tod pflegten.
Dass die Patienten nicht isoliert werden konnten, zeigt dieses Bild aus der Tonhalle, die in ein Lazarett umgewandelt worden war:
Bild: Archiv Schweizer Verband Volksdienst – Soldatenwohl
Den Landesstreik und das Truppenaufgebot schildert Eduard Seiler ebenfalls und versucht sich einen Reim daraus zu machen: «Heute trugen alle Stahlhelme, wahrscheinlich erwartete man Strassenkämpfe. Die Regierung musste wichtige Dokumente über das Wühlen der Bolschewiki in den Händen haben, dass sie sich zu solch einem grossen Aufgebot entschloss. Die ganze Stadt war voll mit Militär und besonders viele Maschinengewehre wurden bereitgestellt. Gestern zogen Tausende vor die Kaserne und forderten den Militärminister Regierungsrat Wettstein heraus».
Der Rationierungsbrunnen an der Trottenstrasse in Zürich erinnert an die damalige Teuerung, die den Streik mit auslöste. 1914 erhielt man für einen Franken z.B. 20 Kilo Kohle, 1918 dann nur noch 3 ½ Kilo.
(Bild W. Gallas, Baugeschichtliches Archiv Zürich)
Der Landesstreik hat keine Spuren im Gloggi-Archiv hinterlassen. Im Protokollbuch ist aber festgehalten, wo überall Gloggi-Pfadi eingesetzt wurden:
Auszug Protokoll Feldmeisterkonvent vom 19. Nov. 1918
Das von der Frauenzentrale geführtes Notspital im Schulhaus Münchhalden galt als eigentliches Vorzeigenotspital, es wird in Berichten immer wieder erwähnt, vermutlich weil das nun umgenutzte Schulhaus noch sehr neu war. Man sieht es auf dem Luftbild von Mittelholzer (1920) unten rechts, gerade darunter den Tunnel zwischen Tiefenbrunnen und Stadelhofen.
Vorne rechts Schulhaus Münchhalde und Eisenbahntunnel (Bild Mittelholzer, ETH e-pics)
Auch ausserhalb der Notspitäler war man mit der Arbeit der Pfadi zufrieden. Die Frauenzentrale schreibt in ihrem Jahresbericht von einer sehr grossen Arbeit:
Aus dem Jahresbericht der Zürcher Frauenzentrale 1918/19
Das Engagement der Zürcher Pfadfinder wurde auch von der Presse gewürdigt, auf dem Bild der Helferinnen und Helfer im Tonhalle-Lazarett, das damals in der Schweizer Illustrierten erschien, sind die Pfadi im Vordergrund deutlich sichtbar:
Bild aus der Schweizer Illustrierten 1918 (abgebildet in Wicki 2009)
Für die Pfadi von damals war ihr «Hilfsdienst» während der Pandemie von 1918 ein prägendes Erlebnis, viele haben sich das ganze Leben daran erinnert. Eduard Seiler ist später Arzt geworden.