Bahren in der Pfadi

Vor 25 Jahren wurde die Archivgruppe gegründet. Wir feierten das Jubiläum mit einem Posten am Gloggi-Tag. Dort erzählte der Gloggi-Geist unter anderem davon, wie die Pfadi früher mit Bahren Verletzte rasend schnell über Stock und Stein transportiert hätten. Die Pfadi bauten am Posten selbst eine Bahre und rannten mit einem «Verletzten» über einen Parcours. Das sah dann nicht genau so aus, wie vor 80 Jahren auf der Allmend Brunau, aber doch so ähnlich:

Gruppenbuch Leopard/ Wiking 1953-1958

Aber wie kamen die Bahren in die Pfadi? Und rannte man mit Verletzten wirklich durch die Gegend? Das muss sie ja ganz schön durchgeschüttelt haben. Gruppenbücher und andere Unterlagen im Gloggi-Archiv geben Auskunft:

Der Gründer der Pfadi, Bi-Pi be­schrieb 1908 in seinem ersten Buch für Pfadi, «Scouting for Boys», dass Pfadi um «allzeit bereit» zu sein, natürlich auch in Erster Hilfe ausgebildet sein müssten. (Text und Bilder der ursprünglichen Ausgabe von 1908 sind im Projekt Gutenberg verfügbar). Er machte gerade ein Beispiel von sich selbst und zeichnete, wie er behandelt worden war, als er sich in Indien die Schulter ausgerenkt hatte. In diesem Buch gab er auch Anleitungen für den Bahrenbau.

Bi-Pis Schulter wird in Indien wieder eingerenkt (aus Scouting for Boys, 1908)

Verwundetentransporte mit Bahren wurden bald so etwas wie ein Markenzeichen der Pfadi. Als der CVJM 1913 Werbung für die Pfadi mach­te, erschien in seiner Zeitschrift «Die Glocke» auch ein Bild von Pfadi, die Verwundete trans­por­tieren (links).

„Die Glocke“, 1913 und Chocolat Tobler, 1928

Pfadi beim Verwun­deten­trans­port sieht man auch auf den Sammel­marken (damals so eine Art Panini-Bilder) der Schoggifabrik Tobler in den 1920er-Jahren (rechts).

Das Fixieren von gebro­chenen Knochen und der Transport von Verletzten bis zur nächsten Strasse wurden regelmässig geübt. Auch bei Wettkämpfen mussten die Gruppen Bahren bauen und «Verwundete» möglichst schnell transportieren.

Dass Bahren manchmal gebraucht wurden, zeigt ein Gruppenbuch der „Hunnen“ von 1932. Bei einem Pfadiskirennen war auch eine Schanze eingebaut worden, neben der zwei Pfadi für den Fall der Fälle mit einer Bahre warteten. Zeichnungen in Gruppenbüchern zeigen, dass sich die Pfadi beim Üben auch gut amüsierten

Skilagerbuch „Hunnen“ 1932/33

Gruppenbuch Voss 1936/37

Meistens brauchte man ja die erworbenen Kenntnisse zum Glück nicht, es waren eher Blasen an den Füssen behandeln

Oder je nachdem musste auch einmal ein blaues Auge behandelt werden. In Gruppenbüchern ist auch von Übelkeit, die in Herbstlagern herrschte und Kranken mit Fieber zu lesen.

Gruppenbuch Voss 1936/37

Irgendwann verselbständigten sich dann die Wettbewerbe, welche Gruppe wohl am besten in Erster Hilfe sei. Man rannte nicht nur mit Bahren um die Wette, sondern liess die «Verwundeten» auch selbst rennen, führte «Samariterstafetten» durch. Ich kann mich noch gut erinnern, wie wir in den 1960er-Jahren mit einem eingeschienten Bein und einem fixierten Arm Hindernisläufe absolvierten.

Samariterstafette 1942

Dass die zu Übungswecken auf den Bahren Transportierten manchmal abstiegen, wenn sie zu sehr durchgerüttelt wurden, ist in einem Zugsbuch der Manegg von 1964 beschrieben:

«Schliesslich wurde ich auf eine Bahre gelegt und solange geschüttelt und gerüttelt, bis ich erklärte, dass ich lieber heim laufe, statt getragen zu werden» beschreibt eine Pfadi hier.

Bahrenbau und -transporte wurden lange in den verschiedenen Auflagen der Pfaditechnik beschrieben und in die Hefte für die verschiedenen Prüfungen eingetragen.

Unterdessen ist der Bau von Tragbahren aus der Pfaditechnik verschwunden – und man macht vermutlich auch keine Wettrennen mit Bahren mehr. Aber Spass hat’s gemacht, beides am Gloggi-Tag nochmals aufleben zu lassen.

Die Bläsimühle vor dem Gloggi

Im Juni 2022 trafen sich der Heimverein und der APV in der Bläsimühle zu ihren Generalversammlungen, dieses Jahr gekoppelt mit dem APV-Grill, einer schönen Gelegenheit, viele Ehemalige wiederzusehen. Für die Archivgruppe war das auch Gelegenheit, auf einigen Plakaten die Geschichte der Bläsimühle darzustellen. Hier eine Zusammenfassung in zwei Blogbeiträgen:

Teilnehmer:innen der Generalversammlung im Müliraum

Die Bläsimühle vor dem Gloggi

https://maps.zh.ch/lubis?gyger=1&x=14344.19&y=20011.44&zoom=5&rotation=0

1467Die Bläsimüli wird im Steuerrodel der Stadt Zürich erstmals erwähnt.
Der Name könnte von einer um 1370 genannten Kapelle, die dem heiligen Blasius geweiht war, stammen. Möglich ist auch, dass die Mühle einem Blasius gehörte.
1648 
Es besteht vermutlich bereits eine Sägerei neben der Mühle. Die Gemeinde bezahlt dem Bläsimüller einen Sagerlohn.
1655Ulrich Müller (verheiratet mit Barbara Frei) kauft die Bläsimühle.
1660Er baut ein neues Wohnhaus mit Mühle.
Die Bläsimühle wird als «Kundenmühle» betrieben, Bauern bringen ihre Ernten zum Mahlen in die Mühle. Sie ist für die Verarbeitung von Hafer zu Mehl bekannt.
1804sind der Bläsimühle neben der Sägerei auch zwei Wein­schenken angegliedert.
1812
Die Bläsimühle verfügt auch noch über eine Nebenmühle , eine «Knochenstampfi». Knochenmehl ist ein wichtiges Düngemittel.
1816
Die verheerende Hungersnot 1816/1817 wirkt sich auf die Mühlen aus. Sie haben viel weniger zu mahlen und sind Ziel von Bettelzügen, teilweise auch von Raubüberfällen und Morden.
.«…die Menschen wehklagten und welkten dahin in Hunger und Krankheit. Scharenweise strömten die Bettler herbei; ihre blassen, erdfalben, aufgedunsenen Gesichter, die angeschwollenen Füsse, der matte Gang, o, wie war dies ein Bild des Jammers und entsetzlicher Not»
Jakob Stutz aus der benachbarten Mühle Balchenstahl bei Hittnau (Siebenmal sieben Jahre aus meinem Leben, Frauenfeld: Huber 1983, S. 284f.)
Dass die grosse Klimaveränderung («Das Jahr ohne Sommer») auf den Ausbruch des Vulkans Tambora im heutigen Indonesien zurückzuführen ist, weiss man erst viele Jahrzehnte später.
1840Die Mühle durch zwei oberschächtige Wasserräder betrieben.
oberschächtiges Wasserrad
(in der Bläsimühle befand sich das Rad in einem Wasserradkasten)
1843Erbauung der grossen Mühlenscheune, die für den Landwirtschaftsbetrieb genutzt wird
1845/47


In diesen Jahren herrscht wegen Missernten (Kartoffelkrankheit) grosse Teuerung, die Mechanisierung der Weberei führt zu Verdienstausfällen und Armut. Andere Gemeinden betreiben Suppenküchen, Russikon ist es möglich, «mittelst wöchentlicher Austheilung von Mehl in der Bläsimühle der Noth zu steuern». Vogel: Memorabilia Tigurina, 1853, S. 422
1848/49Der Kanton baut die Strasse III. Klasse von Fehraltorf über Russikon nach Wildberg, er beschäftigt dazu hauptsächlich verdienstlose Arbeiter.
Müller Jakob Kägi führt einen Umbau von Wohnhaus und Mühle durch. Mit den Veränderungen von
1862entsteht ein stattlicher langgestreckter Bau unter einem Satteldach. Die Bläsimühle nimmt in etwa die heutige Form an.
Zustand nach 1862 (Zeichnung verwendet auf dem Titelblatt GP 1973)
1869 Der Nachlass von Müller Jakob Schellenberg muss konkursamtlich verwaltet werden. Die Bläsimühle wird zum Verkauf ausgeschrieben.
Volkszeitung für das Zürcher Oberland, Dezember 1869
1872 Heinrich Frei kauft Wohn- und Mühlengebäude, Sägerei und Wasserradhaus, die grosse Scheune, Acker-, Wiesland und Wald.

(https://maps.zh.ch/ Wildkarte 1850 und Siegfriedkarte 1880)

Das Gebiet der Bläsimühle wird ab Mitte 19. Jahrhundert zum eigentlichen Industriegebiet.

Die Wasserkraft wird mit Wasserrädern und Turbinen rege genutzt. Das Wasser wird in Kanälen von einer Nutzungsstelle zu anderen geführt und in Weihern gespeichert.

Neben Mühle und Sägerei der Bläsimühle sind hier die «obere Bläsimühle» bzw. «Neubläsimühle», eine relativ kleine Spinnerei mit 1600 Spindeln und eine Teppichweberei angesiedelt.

Eine Schulklasse hat in den 1980er-Jahren in ihrem Klassenlager das damalige Kanalsystem sehr genau nachgezeichnet (siehe unten). Unklar ist einzig, wo bzw. in welchem Haus die Spinnerei von Heinrich Schneider stand, sie ist auf der Wildkarte und in den «Mittheilungen aus den Akten der zürcherischen Fabrikkommission» von 1858 erwähnt.

Die ebenfalls hier angesiedelte Zündholzfabrik der Gebrüder Hürlimann mit ihren «Mühlrad»-Zündhölzern ist weitherum bekannt. (Bilder: Hans Keller: Chronik der Gemeinde Russikon, 1998)

1890 wird der Wirtschaftsbetrieb (d.h. die Weinschenke) eingestellt.
1933 Die Mühle wird stillgelegt, Wasserrad und Wasserradkasten werden 1943 abgebrochen.
Der Landwirtschaftsbetrieb wird weitergeführt.
1972 Weil die Landwirtschaft jetzt vom nahen Bauernhof «Mühlenhof» aus betrieben wird, stehen Bläsimühle und Scheunen zum Verkauf. Der Kanton stellt die Scheune, die abgebrochen werden soll, unter Schutz.
1973erfolgt der Verkauf der Bläsimühle durch die Familie Frei an den Heimverein
Kanalsystem (Klassenlagerbericht o.J.)

Bis 1933 bringen Bauern ihr Korn zum Mahlen in die Bläsimühle. Das Mahlen kann man sich mit Hilfe einer Zeichnung der Schulklasse, die nach Interviews mit der Familie Frei entstand und einer Fotografie des Mühleraums vor dem Umbau ungefähr vorstellen:

Mahlen in der Bläsimühle (Zeichnung einer Schulklasse, o.J.)

Zusammengestellt mit einem Artikel von Hans Keller im Mitteilungsblatt der Gemeinde Russikon vom September 1992 (Staatsarchiv Zürich Dc R 32.1g) und der Chronik der Gemeinde Russikon von 1998.

Und hier der Blogbeitrag zur Bläsimühle als Gloggiheim.